20 Jahre kicker-Datenredaktion – Christoph Huber über die Macht der Daten, das Jobprofil „Datenredakteur“ und (s)ein Praktikum
Christoph Huber hat einen im Olympia-Verlag nicht ganz unüblichen Weg gewählt: seit den Anfängen seiner Berufslaufbahn ist er nun schon Teil des OV-Teams. Erst als Praktikant für sechs Wochen, heute - knapp 20 Jahre später – als Leiter der kicker-Datenredaktion. Mit seinem Team versorgt er nicht nur Kolleginnen und Kollegen der Redaktion mit Informationen aus dem großen sportlichen Datenschatz des kicker. Wie abwechslungsreich der Alltag eines Datenredakteurs ist, welche Fähigkeiten man mitbringen sollte, inwiefern handschriftliche Notizen heute durch digitale Tools abgelöst worden sind und welche Anekdote er zum Weltmeister-Tor von Mario Götze parat hat, verrät er im Flutlicht-Interview.
Fußball und Daten, das ist fast
die einzige Gemeinsamkeit zwischen 2004 und 2024,
ansonsten hat sich nahezu alles verändert.
Christoph, seit wann genau bist du im Olympia-Verlag, wie bist du zur kicker-Datenredaktion gekommen und was hat dich an dieser Position gereizt?
Ich habe zunächst ab Februar 2004 ein sechswöchiges Praktikum in der kicker-Dokumentation absolviert. Nach einer freien Mitarbeit ab Sommer 2004 in der Datenredaktion wurde ich dann zum 1. August 2005 dort festangestellt. Die Kombination aus der Leidenschaft Fußball und dem Faible für Zahlen, Daten und Statistiken ist für mich perfekt.
Was sind deine Aufgaben als Leiter der kicker-Datenredaktion?
Ich bin als Teil eines tollen Teams und bin u.a. erster Ansprechpartner für alle abteilungsübergreifenden Projekte. Die Aufgabenkoordination sowie alles Organisatorische rund um die Datenredaktion zählt ebenso zu meinen Tätigkeiten. Darüber hinaus gehören auch klassische redaktionelle Tätigkeiten wie das Verfassen von Artikeln, das Planen von Themen oder Print-Seiten sowie die Betreuung von Sonderobjekten zu meinen alltäglichen Aufgaben.
Welche besonderen Herausforderungen gab es in den Anfangsjahren der kicker-Datenredaktion?
Zunächst ging es einmal darum, die Daten zu vereinheitlichen und eine medienneutrale Datenhaltung zu gewährleisten und datentechnisch die Verzahnung von Print und Online voranzutreiben. Gerade zu Beginn war es hin und wieder so, dass sich zum Beispiel Spielernoten in Print und Online unterschieden haben, wenn nachträglich noch Korrekturen gemacht wurden.
Wie hat sich die Rolle des Datenredakteurs im Laufe der Jahre verändert? Wie sahen die Tätigkeiten Anfang der 2000er, was sind heute neue Aufgabenbereiche?
Fußball und Daten, das ist fast die einzige Gemeinsamkeit zwischen 2004 und 2024, ansonsten hat sich nahezu alles verändert. Nur ein Beispiel: vor 20 Jahren wurden (auch) auf Karteikarten Notizen oder Kreuzchen gemacht, inzwischen findet die Datenerfassung rein digital statt. Zudem gab es früher eigentlich nur Tore, Vorlagen, Wechsel, Karten, heutzutage ist die Datenvielfalt und damit die Möglichkeit, Daten abzufragen viel, viel größer als damals. 2004 arbeitete die Datenredaktion hauptsächlich für die Print-Redaktion, heute arbeiten wir nahezu mit allen Abteilungen im Hause in verschiedenen Projekten zusammen, auch über die eigentliche Redaktion hinaus. Waren wir in den Anfangsjahren ein reiner Dienstleister für die Redaktion, so verfassen wir inzwischen eine Vielzahl an eigenen Stücken, die so eins-zu-eins veröffentlicht werden können.
Vor 20 Jahren wurden auf Karteikarten Notizen oder Kreuzchen
gemacht, inzwischen findet
die Datenerfassung rein digital statt.
Welche Fähigkeiten sollte ein Datenredakteur heute mitbringen?
Leidenschaft für den Fußball muss vorhanden sein, dazu natürlich Sachverstand national und international, aktuell und historisch. Der Umgang mit Zahlen und Fakten muss einem liegen, logisches Denken und ein gewisses mathematisches Verständnis sind vorteilhaft.
Wie sieht der Alltag eines Datenredakteurs aus? Wie läuft der Austausch mit Reportern/Redakteuren?
Den klassischen Alltag gibt es nicht. Jeder Tag ist anders und an jedem Tag passiert Unerwartetes. Aber genau das macht ja auch den Reiz aus. Der Austausch mit Reportern und Redakteuren ist sehr eng. Egal, ob bei der Themenfindung, bei der Planung von verschiedenen Produkten oder bei der inhaltlichen Absprache. Bei bestimmten Datenanfragen spielt es beispielsweise in der Priorisierung für uns keine Rolle, wer die Anfrage stellt, sondern nur, bis wann die Daten benötigt werden.
Welche Technologien und Tools sind heute unverzichtbar für eure Arbeit?
Das Wichtigste ist der eigene Kopf. Dort passiert das meiste. Jede Aufgabe erfordert immer wieder Kreativität und man muss überlegen, welche Werkzeuge man wie für welche Aufgabe einsetzen muss. Da ist natürlich die hauseigene Datenbank, die einem viele Möglichkeiten bietet und im Laufe der 20 Jahre immer weiter gewachsen ist und ausgeweitet wurde. Aber auch der Umgang mit Excel-Tabellen, SQL-Abfragen oder Grafiktools wie z.B. Datawrapper sind essenziell für unsere Arbeit.
Welche Rolle spielen Daten und Analysen in der heutigen Sportberichterstattung?
Eine ungemein große. So bieten Daten einem Reporter beispielsweise die Möglichkeit, die subjektive Einschätzung anhand objektiver Parameter zu belegen. Der Blick über die Daten auf ein Thema bietet oft auch einen ganz neuen oder überraschenden Ansatz. Dass Daten und Analysen immer wichtiger werden in der Sportberichterstattung zeigt auch die Tatsache, dass immer neue und qualitativ hochwertigere Datenkategorien ermittelt werden, mit denen Analysen möglich gemacht werden. Und doch: Die Roh-Daten sind nicht alles, man muss sie auch interpretieren können.
Daten bieten einem Reporter die Möglichkeit, die subjektive
Einschätzung anhand objektiver Parameter zu belegen.
Wie stellt ihr sicher, dass die von euch gelieferten Daten stets korrekt und aktuell sind?
Die Richtigkeit der Daten ist unser höchstes Gut. Da geht dann auch Genauigkeit vor Schnelligkeit. Dort, wo immer es möglich ist, versuchen wir durch verschiedene Maßnahmen der Qualitätskontrolle eine Datensicherheit zu gewährleisten. Bei der unglaublichen Menge an gelieferten und veröffentlichten Daten gelingt das naturgemäß nicht immer, aber wir werden weiter daran arbeiten, der Perfektion nahe zu kommen.
Wie geht ihr mit den immer größer werdenden Datenmengen um?
Immer größere Datenmengen ist nicht unbedingt auch gleichbedeutend mit immer besseren Infos. Es geht darum, die relevanten Daten zu selektieren und zu gewichten. Kaum jemand möchte von Daten erschlagen werden, sondern mit den wesentlichen Daten konfrontiert zu werden. Wir sind immer auf der Suche nach dem Aha-Effekt bei den Daten.
Die Richtigkeit der Daten ist unser höchstes Gut.
Dabei geht Genauigkeit vor Schnelligkeit.
Gibt es bestimmte Sportarten, die besonders datenintensiv sind?
Unser Hauptfokus liegt natürlich auf dem Fußball, dort sind wir datentechnisch auch am besten aufgestellt. Aber natürlich haben wir auch einen Blick auf andere Sportarten wie Formel 1, Handball, Basketball oder Eishockey. Großereignisse wie z.B. Olympische Spiele haben wir logischerweise auch im Auge.
Wie hat sich die Erwartungshaltung der Leser hinsichtlich Daten und Statistiken verändert?
Man sollte dem Leser mit Daten nicht alleine lassen, sondern diese auch erklären und im Idealfall auch visuell ansprechend aufarbeiten. Diese Aufgabe das Datenjournalismus treiben wir innerhalb des Verlags aktiv voran mit immer neuen Formaten und Artikeln, die von Datenredakteuren in Eigenverantwortung erstellt werden.
Man sollte den Leser mit Daten nicht alleine lassen,
sondern diese erklären und im Idealfall
auch visuell ansprechend aufarbeiten.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen des Olympia-Verlags für eure Arbeit?
Enorm wichtig. Abteilungsübergreifende Projekte werden immer mehr. Innerhalb der Redaktion ist das ja selbstverständlich. Es gibt aber auch Projekte, die z.B. zusammen mit dem Vertrieb (Lizenzprodukte), der Vermarktung (z.B. Newsletter) oder kicker business solutions (Kooperationen) bewältigt werden.
Welche Rolle spielt der gewachsene kicker-Datenschatz im Zuge von kicker+?
Bei kicker+ gibt es schon jetzt einige neue Rubriken, die stark von der Arbeit der Datenredaktion und Dokumentation profitieren. Wir erinnern an historische Jahrestage und garnieren die mit neuen Infos. Und auch der Bereich Datenjournalismus wird immer stärker ausgebaut. Dort setzen wir bei einigen Themen datentechnische Schwerpunkte und arbeiten dies auch mit anschaulichen Grafiken auf.
Wie relevant ist das Thema KI für die Datenredaktion heute und in Zukunft? Was für konkrete Anwendungsfelder siehst du?
In den vergangenen Monaten haben wir mit KI einige Versuche unternommen. Für eine klassische Erstellung von Fakten ist die Fehleranfälligkeit in dem Bereich noch viel zu hoch, gerade wenn es um aktuelle Ereignisse geht. Unterstützung kann uns KI geben zum Beispiel beim Abgleichen von Tabellen.
Und zum Schluss: Welches Projekt oder welcher Moment war für dich persönlich das Highlight in den letzten 20 Jahren?
Das kann ich so gar nicht beantworten. Grundsätzlich ist es so, dass ich in meiner Zeit bislang kaum einen Tag hatte, an dem ich nicht mit Freude in den Arbeitstag gegangen bin. Das gute Miteinander in der Abteilung und darüber hinaus und die Thematiken, die wir bespielen sind dort der Hauptgrund dafür.
Ein besonderer Moment war Mario Götzes Siegtor im WM-Finale 2014 als ein lauter Schrei durch den Innenhof der Badstraße hallte. Ich habe diesen Schrei, der aus mehreren Kehlen kam, nicht so sehr als Jubelschrei wahrgenommen, sondern eher als einen Schrei der Erleichterung, weil so das Projekt „Wir sind Weltmeister“ verwirklicht werden konnte, an dem in den Wochen zuvor gearbeitet wurde. Aber wie gesagt, dass ist nur ein besonderer Moment.
Ansonsten finde ich es immer sehr spannend, an Veränderungen mitzuwirken. So ist aktuell die Einführung von kicker+ eine sehr intensive und auch sehr reizvolle Aufgabe, weil man dort Ideen und Visionen verwirklichen kann.
Auch Bernd Salamon und das kicker Sonderheft feierten in diesem Jahr Jubiläum und auch hier spielt der kicker-Datenschatz eine große Rolle. Mehr dazu im Blog-Interview "10 Jahre Sonderheft-Chef: Bernd Salamon und die Herausforderungen der kicker Sonderhefte" zum Nachlesen.